Keiner von uns weiß, was die kommenden Monate bringen werden, nur was in den vergangenen Wochen passiert ist, die rasant schnell und doch quälend lang gewesen sind. Alles, wirklich alles was wir kennen und als normal betrachtet haben, wurde in Frage gestellt. Unser Land und die Welt findet sich in einer Situation wieder, die völlig neu und unberechenbar ist.
Die Menschen sehen sich kaum an, haben ihr Lächeln verloren und versuchen, das Neue zu ergründen und sich damit abzufinden. Als wir gestern einkaufen waren, klagte die Verkäuferin, dass alle so muffelig sind und kaum jemand ein freundliches Wort oder ein Lächeln hat. Ich habe sie beruhigt: das ist die Unsicherheit, jeder ist vollauf damit beschäftigt, alles richtig zu machen und sich und andere zu schützen.
Es ist eine Zeit voller Widersprüche. Wir möchten uns nah sein in der Not, sollen aber Abstand halten. Unser Hamsterrad aus dauernder Erreichbarkeit, schneller und ober-flächlicher Information, der schon in Druck ausartenden Phase des Spaßhabenmüssens in der immer kleiner gewordenen Welt wurde jäh gestoppt, wir purzelten ins Ungewisse und reiben uns staunend die Augen: wo sind wir hier, was passiert gerade und was wird aus uns? Kann jede und jeder von uns abrupt das Gegenteil dessen leben, was uns in den vergangenen fetten Jahrzehnten unverzichtbar war?
Es ging uns gut, sehr gut. Wir durften ohne Krieg in unserem Land leben und gewöhnten uns an den Überfluss, die Ansprüche und Autos wurden immer größer. Alles musste sofort und ohne Einschränkung zur Verfügung stehen, wurde konsumiert und weg-geworfen. Unsere Kinder wurden verwöhnt, niemand brauchte mehr den Geburtstag oder Weihnachten abzuwarten, und jeder Wunsch, der sich gerade den Weg in den Kopf gebahnt hatte, wurde umgehend erfüllt.
Es ging bergauf, wurde immer besser und zur Gewohnheit. Wir waren unbekümmert im Umgang miteinander und mit den Möglichkeiten, nutzten alle Chance und klagten auf hohem Niveau. Oft war das Fehlen eines gewohnten Gebrauchsgegenstands ein Grund zum Verzweifeln, die Milch wurde aus dem anderen Teil des Landes geholt und die Blaubeeren aus Chile, die Menschen waren es gewohnt, alles in Fülle zur Verfügung zu haben.
Und auf einmal ertönt ein lautes STOP!
Kein Wunder, dass sich alle fragten, wie es weiter gehen soll und warum plötzlich nichts mehr so ist wie es war. Wir möchten uns irgendwo festhalten in diesem rasanten Sturz, werden aber aufgefordert, uns einzeln der Situation zu stellen. Wir möchten etwas tun und tätigen Hamsterkäufe, um die Hilflosigkeit nicht in den Vordergrund zu lassen.
Die üblichen Ablenkungsmöglichkeiten funktionieren nicht mehr, wir können weder verreisen noch Freunde treffen, Essen oder ins Kino gehen. Um uns selbst und andere zu schützen, sollen wir zuhause bleiben, und keiner weiß oder ahnt, wie lange das dauern kann.
Liegt darin eine Chance für uns?
Die ersten positiven Berichte sind schon da. Die Erde bekommt die Chance, sich zu erholen, die Touristenzentren haben zwar keine Einnahmen mehr, aber die Natur bekommt eine Pause. Die Menschen sind weder mit Flugzeugen noch mit Autos unterwegs, das bedeutet eine Entlastung für die Umwelt. Die Jugend fordert das ein, und es hätte sich niemals so schnell umsetzen lassen ohne den Virus.
Ich glaube, jede und jeder von uns sollte die Chance nutzen und sich wieder auf sich selbst besinnen. Fragen wir uns mal wieder, was wir wollen und ob unser Leben so verläuft wie wir es uns vorgestellt haben. Es gibt Alternativen zur persönlichen Begeg-nung, das Telefon spielt plötzlich wieder eine Rolle und auf elektronischem Wege kann man jederzeit kommunizieren. Lesen wir wieder einmal ein Buch, schlendern durch den Garten und freuen uns an dem, was schon wächst und blüht, spüren uns selbst und alles um uns herum ohne Ablenkung.
Es lohnt sich auf jeden Fall, bei sich selbst anzukommen!
Lernen wir von unseren vierbeinigen Mitbewohnern: die nehmen es wie es kommt.
Bleibt alle gesund!
Alles Liebe, Eva